Mensch renoviere Dich!
Renovieren weckt eine Urlust im Menschen. Es ist die reine Lust am Bau, bei einem alten Haus den Putz von den Wänden klopfen, damit das Haus wieder atmen kann. Das Baugefühl hebt ab, wenn man zugemauerte Fenster befreit und das abgestumpfte Parkett zum Glänzen bringt. Es geht voran, die Dinge machen sich und man kommt vorwärts.
Es macht einfach Spaß, ein Haus oder einen alten Mercedes zu renovieren, egal wie anstrengend und verwickelt die Arbeit ist. Dabei vergisst man leicht sich selbst als den eigentlichen Renovierungsfall. So wie das Haus mit der Zeit heruntergewohnt wird, so setzt auch der Mensch Patina, Gilb und Verkalkung an. Man lebt sich so herunter wie das Dach mit der Zeit morsch wird und der Gravitation nachgibt. Nur neigt der Mensch dazu, den eigenen Renovierungsbedarf souverän zu übersehen. Statt vergilbter Gardinen bildet sich dabei ein abgetragenes und abgewetztes Ich, das den Kontakt zum Leben in kleinen Etappen unbemerkt verliert. Der Körper setzt nach und nach Masse an und wird zum Sitzsack. Auch der Schlaf verabschiedet sich diskret und wird zum Halbschlaf. Und wenn man lacht, dann lacht in einem etwa nicht mit, weil sich Platzhaltergefühle gebildet haben, stille Teilhaber ergrauten Lebens. Das Ertauben, Versumpfen und Ausbleichen der eigenen Lebendigkeit und Frische ist dabei unausweichlich und macht den Menschen zum ständigen Sanierungsfall.
■ Projekt Mensch
Die Urlust am Renovieren gilt aber auch für das eigene Leben. Sie ist nicht nur im Schöner Wohnen zu Hause. So wie es Spaß macht, die verborgene Schönheit aus einem vernachlässigten Haus zu befreien, bereitet es eine ursprüngliche Lust, sich selbst zu überholen und auf Vordermann zu bringen.
Es hapert aber an den Anleitungen zur Renovierung. Wer ein Haus entschachteln und entkernen will, in das im Laufe der Zeit viele kleine Zimmer hineingebaut worden sind, findet viele Anregungen und Anleitungen. Wer sich selbst renovieren möchte, findet dagegen wenig Material. Es ist also Zeit für eine Gebrauchsanweisung für sich selbst.
Kinder haben einen anarchischen Zugang zu Bauideen, Bauanlässen und Baumaterialien und gewinnen aus jedem Material ihre Baulust. Erwachsene bleiben hingegen oft merkwürdig beschränkt, weil die Baustoffe für sie immer konkret sein müssen. Aus Steinen, Dachziegeln und Fensterrahmen bauen sie mit Gewinn Häuser, schaffen es aber nicht recht, ihr Baugefühl in zarterem Baumaterial zu leben. So ist für sie der Umfang möglicher Baustellen begrenzt, da sie auf Bausteine setzen, die auch wirklich Steine sein müssen. Die Lust am Bau wird so stark verknappt und braucht eine Generalüberholung.
Es geht darum, das Baugefühl von seinen Baustoffen zu trennen. Baulust heißt allgemein ausgedrückt Lust am Werden, ohne dabei auf diesen oder jenen Stoff angewiesen zu sein. Der Bautrieb kann sich genauso gut beim Klettern im Fels verwirklichen wie beim Aufbau der eigenen Firma, weil es vom Produkt ganz unabhängig ist. Das Baugefühl auf Vordermann zu bringen, beruht nun auf der Ausweitung des Baustoffes, so wie das Kind es macht und im Matsch, im Schnee, im Heu und im Sand vielversprechende Stoffe zum Bauen findet. Beim Erwachsenen ist es entsprechend der Wind (Segeln), der Fels (Klettern), die Töne (Musik) etc. Auch die Baustelle braucht Variationen im Körper (Erotik), Denken (Schach) oder in Raum und Zeit (Aikido).
Das Gefühl des Vorankommens hängt dabei auch von der Wahl des Baumeisters ab, der im wachen Ich bestehen kann oder im Modus des « Es geschieht in mir ». Schon beim Biertrinken findet sich dieser Wechsel des Baumeisters, da die Lust am Alkohol etwas ist, das im Körper geschieht und das Ich außen vor lässt. Schließlich ist die Baulust auch eine Frage ihrer nahen Verwandten, dem Architektur- und Deponiergefühl. Mit diesen Varianten kann man sich nach und nach bereichern und wird so seine Freizeit nicht mehr am Computer verbringen, wo man einen Bauernhof simuliert, den man durch virtuelles Kühefüttern nach vorne bringt. Das Computerspiel ist eine schlaffe Bauleidenschaft, die man durch bessere Baulüste ersetzen kann.
Seminarplan „Mensch renoviere Dich!“
Thema: Mensch renoviert sich so wie einen alten Mercedes, wie ein altes Haus. Dabei werden konkrete Projekte der Selbstkanierung aufgezeigt. Der Sanierungsbedarf wird ermittelt und die jeweilige Sanierungsstrategie bestimmt.
Dauer: 6 h
Einzelthemen: 1. Stille Teilhaber, 2. Superplus, 3. Ein-/ausschalten, 4. Verlustkraft, 5. Verkörperung
1. Stille Teilhaber
Ein Platzhaltergefühl zeigt sich, wenn man einmal aus vollem Herzen lacht und merkt, wie da etwas nicht mitlacht, nicht mitgeht und ein Fremdkörper bleibt. Der stille Teilhaber besteht in einem Gefühl der Leere, wo ein lebendiges Gefühl sein sollte.
Renovierungspotenzial: Das abgestumpfte Leben in einer Serie von Praktiken wieder ins Leben einbringen, vom Sitzsack (stille Teilhaber im unteren Rücken, in Nacken) wieder durch Bewegung zum vollen Körpergefühl zurückfinden. Auch geistige Platzhaltergefühle (z.B. das leere Warten auf unbestimmte Veränderungen) lassen sich wieder dem Leben zuführen.
2. Superplus
Drei kleine Ereignisse können eine Supersumme bilden, in der das Ganze mehr als die Summer seiner Teile ist. Drei kleine Freuden können ein Hochgefühl auslösen; einige unschöne Erlebnisse (Verlust von fünf Euro, verspätete S-Bahn) Verdruss im Übermaß.
Renovierungspotenzial: Aus kleinen Glückseinsprengsel Glück machen. Umgekehrt gilt es, die Supersumme zum Schlechten hin nicht zu bilden.
Anwendungsbeispiel: einige kleine Lüste um sich herum zu versammeln; einige Kochbücher im Buchladen kaufen, später in der Küche bei einem Glas Wein und einem Stück Old Amsterdam in den Büchern blättern und lockere Kochabsichten im Geist formulieren.
3. Ein / Aus
Lässt sich morgens der Wecker nicht ausschalten und hat die Glühbirne einen Wackelkontakt, hilft es, den Stecker zu ziehen. Beim Menschen geht das nicht so leicht. Wer immer weiter isst, nicht aufhören kann oder ohne Punkt und Komma immer weiter redet, braucht diskrete Strategien zum Ein- und Ausschalten.
Renovierungspotenzial: Verborgene „Schalter“ im Körper finden, z.B. den Herzschlag senken durch bewusste Steuerung der Atmung (doppelt so lange Ausatmen wie Einatmen). Auf fröhliche Weise Resignieren lernen (Stoa), die innere Notwendig auflösen, wichtige Dinge tun zu müssen.
4. Verlustkraft
Ein Marathonläufer verbraucht viel Energie, die sich in der Welt verliert (Verlust), bei ihm aber eine Selbststeigerung (Gewinn) hervorbringt. Durch die Investition von Energie in Widerstand erlebt er eine außerordentliche Kraftsteigerung.
Renovierungsbedarf: Sich eine Arbeit suchen mit hoher Verlustkraft, anstatt Dinge zu tun, die bloß anstrengend ohne Selbststeigerung sind. Eine Weltsicht entwickeln, in den Widerständen günstige Möglichkeiten zur Selbstpotenzierung durch Verausgabung zu entdecken.
philosophische Quellen: Spinoza, Georges Bataille
5. Verkörperung / Inkarnation
Der kleine Mann mit Glatze und Bauch vom Finanzamt verkörpert den Staat mit seiner Macht. Eine abstrakte Idee, das Steuerrecht, wird im Anblick des Männleins unmittelbar wirklich. Er inkarniert das, was er nicht ist, was aber sinnlich direkt vom Steuerpflichtigen beim Ortstermin beim Finanzamt empfunden wird.
Renovierungspotenzial: Ein Glas Bardolino kann die abstrakte Idee von Italien auf der Zunge schmecken lassen. Der Bardolino verkörpert Italien. Beim Sex können fragwürdige Flüssigkeiten und Gerüche Aphrodisiaka inkarnieren. Harmlose Dinge können also großartige Bedeutung gewinnen.